Wenn man bei Google „Konzertkritik“ eingibt, ist der erste Treffer ein langer Artikel über den Pianisten Daniil Trifonov und seine unglaubliche Leistung. Die Kritik ist toll, es steht sehr viel darin über den Klang und das Tempo, und darüber, wie gut der Mann seine Aufgabe gemeistert hat. Es ist eine Konzertkritik, wie man sie in dieser Form überall findet.
Das Problem daran ist, dass keine faktischen Tatsachen genannt werden, die einen Text erst interessant machen. Ohne diese ist er auch zu abstrakt, um ein erfassbares Bild für den Leser zu schaffen. Wenn ich sage: „Der Klang war überwältigend, jede Note wurde vom Orchester mit dem größten Einfühlungsvermögen so tiefgründig und farbenreich gespielt, dass die hervorbrechende Klanggewalt in unvorstellbarer Weise faszinierte. Es war ein sehr gelungener Abend“, dann trifft das zum Beispiel sowohl auf das MKO als auch auf das Rundfunkorchester zu. In dieser Form ist der Satz so individuell wie eine Büroklammer, und das liegt einzig und allein an dem verwendeten „Konzertkritikdeutsch“, das dem Autor keine Freiheiten beim Formulieren lässt. Dadurch, dass die gemeine deutsche Konzertkritik sich inhaltlich nicht von einer anderen gemeinen deutschen Konzertkritik unterscheiden lässt, ist man beim Lesen dementsprechend (nicht) gefesselt und angesprochen und vergisst die ganzen hochgestochenen Formulierungen gleich wieder. Übrig bleibt: der Solist hat wunderbar gespielt, die beiden Tenöre waren ein gutes Team und es war insgesamt ein tolles Konzert. Da fragt man sich, warum es nicht gleich in dieser Form ausdrückt wird. Aber woher weiß man eigentlich, dass der Autor tatsächlich im Konzert war? Man weiß es gar nicht. Er oder sie hätte sich seinen/ihren Artikel auch schon eine Woche vorher zusammenbasteln können, der Unterschied fällt niemandem auf, mein Beispiel von oben ist auch frei erfunden. Mir ist sogar ein Fall bekannt, bei welchem eine Konzertkritik über ein Konzert der Fantastischen Vier einen Tag zu früh veröffentlicht wurde (Kölner Stadtanzeiger, Januar 2015). Wofür macht man sich dann überhaupt die Mühe? Ich finde, eine Konzertkritik sollte in dieser Zeit der Informationsgesellschaft nicht mit so vielen Worten wie möglich möglichst wenig ausdrücken, eine Kunst, die sich heutzutage vor allem in der Politik zu bewähren scheint, sondern einfach mal auf den Punkt kommen und erzählen, was wirklich passiert ist und was den Abend so toll gemacht hat. Interessanterweise sind negative Konzertkritiken nie so langweilig wie durchgängig positive mit schwülstigen Formulierungen, weil man in ihnen nämlich konkrete und griffige Begründungen findet, was dem Abend den Zusatz „perfekt“ versaut hat. ST
0 Kommentare
Hinterlasse eine Antwort. |
AutorWir sind Schüler in der Oberstufe des musischen Pestalozzi Gymnasiums München. Unser P-Seminar im Fach Musik arbeitet eng mit dem MKO (Münchener KammerOrchester) zusammen. Wir bekommen Einblicke in die Arbeit der Profimusiker, der Manager und in so ziemlich alle Arbeitsbereiche einer solchen Institution. Einträge
Januar 2016
|