Pablo Casals bezeichnete ihn als „das größte musikalische Phänomen seit Mozart“, Geiger verehren seinen Namen damals wie heute und sein erster Geigenlehrer wollte ihn nicht als Student in seine Klasse an der Hochschule aufnehmen, da er bereits alles könne… mit gerade einmal fünf Jahren. Mit sieben fing er bereits an der Wiener Musikhochschule zu studieren an und entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Geiger, Pianisten, Dirigenten, Pädagogen und nicht zuletzt zu dem Komponisten Rumäniens.
George Enescu war das, was man gemeinhin als „Wunderkind“ bezeichnet. Und in der Tat war seine musikalische Begabung und Vielfältigkeit so überragend, dass es unvorstellbar scheint, dass heutzutage, wie auch zu seiner Zeit, nur wenige seine Kompositionen kennen. Auch in Rumänien, wo er den Status eines Nationalkomponisten innehat und jeder seinen Namen kennt, sind seine Kompositionen weitgehend unbekannt. Ich selbst kannte nur ein paar seiner Violinwerke und war deshalb umso gespannter als ich am 31.01. zum Komponistenporträt dieser erstaunlichen Person aus der Reihe „Nachtmusik der Moderne“ in die Pinakothek der Moderne kam. Zuerst besuchte ich die ausführliche und sehr interessante Einführung mit Alexander Liebreich, dem Chefdirigenten des Münchener Kammerorchesters, das im darauffolgenden Konzert spielte und Ioan Holender, dem künstlerischen Direktor des Internationalen Musikfestivals und Musikwettbewerbs George Enescu in Bukarest. Das Gespräch der beiden mitzuverfolgen war spannend und informativ, jedoch hat mich die Aussage Holenders, Enescus Unglück sei es, viel zu begabt zu sein, besonders zum Nachdenken angeregt. Denn wie oben bereits erwähnt, war Enescu auf sehr vielen musikalischen Gebieten tätig, doch war ihm das Komponieren am wichtigsten. Und gerade darin ist uns George Enescu damals wie heute am wenigsten bekannt! Als ich das Konzert im Anschluss anhörte, war mir jene Tatsache noch viel unbegreiflicher, als vorher. Da hörte ich dermaßen intelligent komponierte Stücke, deren Komponist einer Klangfarbenpalette mächtig war, die er selbst aus einer noch so kleinen und gewöhnlichen Besetzung herausholen konnte. Im Einführungsgespräch wurde erwähnt, dass das rumänische Wort „Dor“ sehr bezeichnend für Enescu sei. Es lässt sich mit „Sehnsucht“ oder „Nostalgie“ übersetzen. Dies fiel mir besonders bei den 2 Intermezzi op. 12 auf, die den Anfang des Konzerts bildeten. Die beiden Stücke für Streichorchester sind betitelt mit „Allègrement“ und „Très lent“. Die hinreißend schönen Melodien und die seufzend hinabfallenden kleinen Sekunden brachten einem die Sehnsucht Enescus zu dem von ihm verehrten ländlichen Leben dermaßen nahe, als würde man sie selber fühlen. Das MKO spielte diese Stücke zwar unglaublich liebreizend und feinfühlig, jedoch auch auf eine äußerst ehrliche, reine und unverfälschte Art. Im Anschluss war die Violinsonate Nr. 3 in a-Moll op. 25 „dans le caractère populaire roumain“ zu hören, die, wie es der Titel des Stückes bereits vermuten lässt, einen sehr von rumänischer Volksmusik geprägten Charakter hat. Dieses Stück kannte ich bereits vorher, aber ich habe es selten so wundervoll musiziert gehört wie von Barnabás Kelemen (Violine) und José Gallardo (Klavier). Kelemen ist ein Geiger mit einer bemerkenswerten Technik und Gestaltungskraft und einem großen und mächtigen, aber dennoch präzisen Ton. Je nachdem, wie es das Werk verlangte, spielte er teils atemberaubend ruhig, teils hoch virtuos. Doch nie ging ihm seine lockere, obwohl hochkonzentrierte Art beim Musizieren verloren. Und selbst als ihm eine Saite riss, nahm er dies mit Humor und musizierte nach Behebung des Problems weiter als wäre nichts gewesen. Gallardo stand ihm musikalisch in nichts nach. Er spielte mit einer unglaublichen Einfühlsamkeit und Innigkeit und verfügte über eine fantastische Tongebung. Zu guter Letzt erklang die „Symphonie de chambre“ op. 33, Enescus letztes Werk. Dieses Opus ist für ein ungewöhnliches Instrumentalensemble bestehend aus zwölf Soloinstrumenten geschrieben, was das Stück meiner Meinung nach so interessant macht, denn dadurch entstand ein unvergleichlicher sinfonischer und zugleich kammermusikalischer Klang. Die Musiker des MKO spielten dieses hochkomplexe Werk mit Bravour! Im Ganzen war das ein fantastischer Abend, an den ich mich gerne zurückerinnere, der mich allerdings auch äußerst nachdenklich, ja fast schon bedrückt gestimmt hat, da man das Schicksal Enescus als Komponist als sehr bizarr, vielleicht sogar als Tragödie bezeichnen kann. Denn letzten Endes ist dieses Genie verarmt und ohne große Berühmtheit seiner tollen Werke im Jahre 1955 in Paris gestorben. SH
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AutorWir sind Schüler in der Oberstufe des musischen Pestalozzi Gymnasiums München. Unser P-Seminar im Fach Musik arbeitet eng mit dem MKO (Münchener KammerOrchester) zusammen. Wir bekommen Einblicke in die Arbeit der Profimusiker, der Manager und in so ziemlich alle Arbeitsbereiche einer solchen Institution. Einträge
Januar 2016
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